Bedingte Wahrscheinlichkeit der Stochastik |
1. Einführung
Zum Verständnis des Themas bedingte Wahrscheinlichkeit müssen wir uns zunächst ein paar zusätzliche Begriffe anschauen, um unser Thema besser verstehen zu können. |
2. Der Multiplikationssatz
Der Multiplikationssatz - auch „1. Pfadregel“ genannt -lautet allgemein wie folgt: |
Merksatz Mulitplikationssatz
1. Pfadregel Seien A und B zwei Ereignisse, so errechnet sich die Wahrscheinlichkeit des Elementarereignisses „Schnittmenge“ aus |
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2.1. Beispiel 1
Bürgermeisterwahl Eine Gemeinde wird zur Bürgermeisterwahl in zwei Wahlbezirke W1 und W2 eingeteilt. 60 % der Wähler kommen aus W1, 40 % aus W2. In W1 erhält der Kandidat Albrecht 30 % der Stimmen, in W2 dagegen 80 %. Ein zufällig ausgewählter Wähler auf der Straße wird nach seinem Bezirk und seiner Wahl befragt. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Wähler aus W2 kommt und Albrecht gewählt hat ? |
2.2. Beispiel 2
Urnenmodell In einer Urne befinden sich 4 schwarze und 5 weiße Kugeln. Es werden zwei Kugeln ohne Zurücklegen gezogen. Mit welcher Wahrscheinlichkeit sind beide Kugeln schwarz? |
1. Ziehung: Da 4 von 9 Kugeln schwarz sind, beträgt die Wahrscheinlichkeit, bei der 1. Ziehung eine schwarze Kugel zu ziehen, genau . Die Wahrscheinlichkeit, bei der 1. Ziehung eine weiße Kugel zu ziehen, entspricht demnach . |
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2. Ziehung unter der Bedingung, dass man bereits eine schwarze Kugel gezogen hat: Da bereits eine Kugel gezogen wurde, befinden sich nur noch 8 Kugeln in der Urne, 3 schwarze und 5 weiße. |
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2. Ziehung unter der Bedingung, dass man bereits eine weiße Kugel gezogen hat: Da bereits eine Kugel gezogen wurde, befinden sich nur noch 8 Kugeln in der Urne, 4 schwarze und 4 weiße. |
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Gesucht war die Wahrscheinlichkeit dafür, dass beide gezogenen Kugeln schwarz sind. Laut dem Multiplikationssatz gilt: |
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Zu 16,67 % sind bei zwei Ziehungen ohne Zurücklegen aus einer Urne mit 4 schwarzen und 5 weißen Kugeln beide Kugeln schwarz. |
3. Satz der totalen Wahrscheinlichkeit
Gegeben sind ein zweistufiges Zufallsexperiment mit zwei Ereignissen A und B sowie die bedingten Wahrscheinlichkeiten und die Wahrscheinlichkeiten des bedingenden Ereignisses. | |
Der Satz der totalen Wahrscheinlichkeit liefert eine Antwort auf die Frage, wie groß die totale Wahrscheinlichkeit des Ereignisses A ist. Gesucht ist also P(A). |
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Die totale Wahrscheinlichkeit berechnet man mit Hilfe der 2. Pfadregel. |
Merksatz zweite Pfadregel
2. Pfadregel Die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses ist gleich der Summe der Wahrscheinlichkeiten aller Pfade, die zu diesem Ereignis führen. |
Gemäß der Grafik gilt: |
Merksatz totale Wahrscheinlichkeit
Seien A und B zwei abhängige Ereignisse, so errechnet sich die totale Wahrscheinlichkeit des Ereignisses A aus: | |||
3.1. Beispiel 3
Bürgermeisterwahl Eine Gemeinde wird zur Bürgermeisterwahl in zwei Wahlbezirke W1 und W2 eingeteilt. 60 % der Wähler kommen aus W1, 40 % aus W2. In W1 erhält der Kandidat Albrecht 30 % der Stimmen, in W2 dagegen 80 %. Wie viel Prozent der Stimmen hat der Kandidat Albrecht insgesamt bekommen? |
3.2. Beispiel 4
Urnenmodell In einer Urne befinden sich 4 schwarze und 5 weiße Kugeln. Es werden zwei Kugeln ohne Zurücklegen gezogen. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass genau eine der beiden Kugeln schwarz ist? |
1. Ziehung: Da 4 von 9 Kugeln schwarz sind, beträgt die Wahrscheinlichkeit, bei der 1. Ziehung eine schwarze Kugel zu ziehen, genau . Die Wahrscheinlichkeit, bei der 1. Ziehung eine weiße Kugel zu ziehen, entspricht demnach . |
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2. Ziehung unter der Bedingung, dass man bereits eine schwarze Kugel gezogen hat: Da bereits eine Kugel gezogen wurde, befinden sich nur noch 8 Kugeln in der Urne, 3 schwarze und 5 weiße. |
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2. Ziehung unter der Bedingung, dass man bereits eine weiße Kugel gezogen hat: Da bereits eine Kugel gezogen wurde, befinden sich nur noch 8 Kugeln in der Urne, 4 schwarze und 4 weiße. |
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Gesucht ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass genau eine der gezogenen Kugeln schwarz ist. Der Satz der totalen Wahrscheinlichkeit sagt: | |
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Zu 55,56 % ist bei zwei Ziehungen aus einer Urne mit 4 schwarzen und 5 weißen Kugeln genau eine der Kugeln schwarz. | |
Der Satz der totalen Wahrscheinlichkeit lässt feststellen, wie man in einem mehrstufigen Zufallsexperiment die Wahrscheinlichkeiten von Ereignissen berechnet. In einem Baumdiagramm entspricht jeder Ast einem Elementarereignis. Ein Ereignis entspricht mehreren Elementarereignissen. Die Berechnung erfolgt mit Hilfe der 2. Pfadregel. |
4. Stochastische Unabhängigkeit
Gegeben seien zwei Ereignisse A und B. Es stellt sich die Frage, ob sich die beiden Ereignisse gegenseitig beeinflussen oder nicht. Wirkt sich das Eintreten des einen Ereignisses auf das Eintreten des anderen aus oder nicht? Und aus dieser Fragestellung heraus bestimmt sich die Formulierung der stochastischen Unabhängigkeit zu |
Merksatz stochastische Unabhängigkeit
Zwei Ereignisse A und B sind stochastisch unabhängig, wenn das Eintreten des einen Ereignisses A das Eintreten des anderen Ereignisses B nicht beeinflusst |
4.1. Beispiel 5
In einer Urne befinden sich 4 schwarze und 6 weiße Kugeln. Es werden nacheinander zwei Kugeln | |
a) | mit Zurücklegen |
b) | ohne Zurücklegen |
gezogen. Prüfe auf stochastische Unabhängigkeit. |
a) | Ziehen mit Zurücklegen | |
Unabhängig davon, welche Farbe im 1. Zug gezogen wird, beträgt die Wahrscheinlichkeit im 2. Zug eine schwarze Kugel zu ziehen | ||
Unabhängig davon, welche Farbe im 1. Zug gezogen wird, beträgt die Wahrscheinlichkeit im 2. Zug eine weiße Kugel zu ziehen | ||
b) | Ziehen ohne Zurücklegen | |
Abhängig davon, welche Farbe im 1. Zug gezogen wird, beträgt die Wahrscheinlichkeit, im 2. Zug eine schwarze Kugel zu ziehen entweder oder | ||
Abhängig davon, welche Farbe im 1. Zug gezogen wird, beträgt die Wahrscheinlichkeit, im 2. Zug eine weiße Kugel zu ziehen entweder oder |
Die Ergebnisse des Beispiels 5 zur stochastischen Unabhängigkeit führen uns zu der Erkenntnis: |
Merksatz
Das Ziehen mit Zurücklegen führt zu unabhängigen Ereignissen. | ||
Das Ziehen ohne Zurücklegen führt zu abhängigen Ereignissen. |
In den folgenden beiden Unterkapiteln sind diese Erkenntnisse verallgemeinert dargestellt. |
Die Wahrscheinlichkeit des Eintretens von A im 2. Zug ist unabhängig davon, ob im 1. Zug das Ereignis B oder eintritt. In beiden Fällen ist die Wahrscheinlichkeit gleich P(A). |
Aus den letzten beiden Darstellungen ergibt sich auch die Definition der stochastischen Unabhängigkeit: |
Merksatz Formel stochastische Unabhängigkeit
Zwei Ereignisse A und B heißen (stochastisch) unabhängig, wenn gilt: | ||
. |
5. Bedingte Wahrscheinlichkeit
Wir haben gesehen, dass sich Wahrscheinlichkeiten von Ereignissen verändern können, wenn bereits andere Ereignisse eingetreten sind. Um diesen Einfluss untersuchen zu können, haben Mathematiker den Begriff der bedingten Wahrscheinlichkeit eingeführt. |
Merksatz Definition der bedingten Wahrscheinlichkeit
PB (A) ist die Wahrscheinlichkeit von A unter der Bedingung, dass vorher B eingetreten ist. | ||
Statt PB(A) findet man auch häufig P(A|B). |
Um die bedingte Wahrscheinlichkeit zu veranschaulichen, eignet sich ein Baumdiagramm. | |
Die Wahrscheinlichkeit des Eintretens von A im 2. Zug ist abhängig davon, ob im 1. Zug das Ereignis B oder eintritt: PB (A) ist die Wahrscheinlichkeit von A unter der Bedingung, dass B eingetreten ist. ist die Wahrscheinlichkeit von A unter der Bedingung, dass eingetreten ist. |
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Die Wahrscheinlichkeit des Eintretens von im 2. Zug ist abhängig davon, ob im 1. Zug das Ereignis B oder eintritt: ist die Wahrscheinlichkeit von unter der Bedingung, dass B eingetreten ist. ist die Wahrscheinlichkeit von unter der Bedingung, dass eingetreten ist. |
5.1. Herleitung Formel zur bedingten Wahrscheinlichkeit
Zur Herleitung der Formel für die bedingte Wahrscheinlichkeit benötigen wir die erste Pfadregel: Durch Umstellung der Gleichung nach PB (A) erhalten wir: |
Merksatz bedingte Wahrscheinlichkeit Formel
Die bedingte Wahrscheinlichkeit PA (B) errechnet sich über | ||
Alternativ gilt: |
5.2. Beispiel 6
Unter den 20 Schülern einer 11. Klasse sind 4 Raucher. Von den 12 männlichen Schülern sind 3 Raucher. Gesucht wird ein neuer Klassensprecher. Die Wahrscheinlichkeit, ausgewählt zu werden, ist für jeden Schüler gleich groß. Die Ereignisse seien: |
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A: | „Der ausgewählte Schüler ist Raucher“ |
B: | „Der ausgewählte Schüler ist männlich“ |
Bestimme den Anteil der männlicher Schüler unter der Bedingung, dass sie Raucher sind, also PR (M) |
Das zugehörige Baumdiagramm ergibt sich aus der Grafik rechts. 4 Schüler sind Raucher, also und . 3 der 20 Schüler sind männliche Raucher, damit , 1 der 20 Schüler ist weibliche Raucherin, damit . 9 der 20 Schüler sind männliche Nichtraucher, damit 7 der 20 Schüler sind weibliche Nichtraucher, damit . |
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Die bedingte Wahrscheinlichkeit PR(M) errechnet sich nun aus: | |
Der Anteil der männlichen Schüler unter den Rauchern beträgt 75 %. |
Vielfach werden diese Aufgaben etwas einfacher über eine Vierfeldertafel gelöst. Die erste Tabelle rechts stellt die absoluten Häufigkeiten, die zweite Tabelle die relativen Häufigkeiten dar. Da eine Vierfeldertafel die bedingten Wahrscheinlichkeiten nicht beinhaltet, müssen diese über die Formel zur bedingten Wahrscheinlichkeit noch errechnet werden. Hier im Beispiel: |
6. Satz von Bayes
Wir stellen uns die Frage, ob aus dem Ergebnis von beispielsweise PA (B) die Umkehrung PB(A) hergeleitet werden kann. Hierzu betrachten wir uns ein zweistufiges Zufallsexperiment mit den Ereignissen A und B. | |
Gegeben sei PA(B), die Wahrscheinlichkeit des Ereignisses B unter der Bedingung, dass Ereignis A bereits eingetreten ist. | |
Gesucht wird PB(A), die Wahrscheinlichkeit des Ereignisses A unter der Bedingung, dass Ereignis B bereits eingetreten ist. Beachte, dass bei neben abgebildetem Baumdiagramm die Ereignisse A und B vertauscht sind. | |
Der Satz von Bayes erlaubt das Umkehren von Schlussfolgerungen: Man geht von einem bekannten Wert PA(B) aus, mit dessen Hilfe man PB (A) berechnet. |
6.1. Herleitung des Satzes von Bayes
Um die Formel für die Berechnung von PB(A) aus PA(B) zu erhalten, müssen wir zwei Baumdiagramme mit unterschiedlichem Ablauf miteinander verknüpfen. | |
Nach dem Multiplikationssatz (1. Pfadregel) gilt: Umgestellt nach PB(A) |
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Nach dem Multiplikationssatz (1. Pfadregel) gilt: |
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Da jedoch gilt, dass (Assoziativgesetz der Multiplikation) können wir der ersten Abbildung durch ersetzen und erhalten und erhalten den Satz von Bayes: | |
Den Nenner des Bruchs können wir noch umschreiben. Dazu benötigen wir den Satz der totalen Wahrscheinlichkeit. |
Merksatz Satz von Bayes Formel
Der Satz von Bayes lautet: | ||
6.2. Beispiel 7
Eine Schülerin fährt in 70 % der Schultage mit dem Bus. In 80 % dieser Fälle kommt sie pünktlich zur Schule. Durchschnittlich kommt sie aber nur an 60 % der Schultage pünktlich an. Heute kommt die Schülerin pünktlich zur Schule. Mit welcher Wahrscheinlichkeit hat sie den Bus benutzt? |
Wir definieren die folgenden Ereignisse: | ||
A: | „Die Schülerin fährt mit dem Bus.“ | |
B: | „Die Schülerin kommt pünktlich an.“ | |
Demnach gilt: | ||
: | „Die Schülerin fährt nicht mit dem Bus.“ | |
: | „Die Schülerin kommt nicht pünktlich an.“ | |
Die folgenden zwei Baumdiagramm verdeutlichen die Situation. | ||
Eine Schülerin fährt zu 70 % mit dem Bus: In diesem Fall kommt sie pünktlich: |
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Durchschnittlich kommt sie zu 60 % pünktlich: Gesucht ist die Wahrscheinlichkeit für Bus unter der Bedingung, dass sie pünktlich ist. |
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Da PA(B) gegeben und PB(A) gesucht ist, lösen wir die Aufgabe mit dem Satz von Bayes: | ||
Aus der gegebenen Information: Zu 80 % ist die Schülerin pünktlich, wenn sie mit dem Bus gekommen ist, haben wir mit Hilfe des Satzes von Bayes folgende Information gewonnen: Zu 93 % ist die Schülerin mit dem Bus gekommen, wenn sie pünktlich ist. |
Titel Aufgabenblatt | Level / Blattnr. |
Bedingte Wahrscheinlichkeit Aufgabenblatt Level 1 / Blatt 1 10 Aufgaben im Blatt |
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WIKI zur bedingten Wahrscheinlichkeit |
- Geschrieben von Meinolf Müller Meinolf Müller
- Zuletzt aktualisiert: 29. Juli 2024 29. Juli 2024